Die Entdeckung der
Linearperspektive, also der geometrischen,
zeichnerischen Konstruktion einer perspektivischen
Raumdarstellung in der Ebene durch Filippo Brunelleschi
(Goldschmied, Maler, Architekt (Kuppel des Doms von Florenz)
1376-1446).
Die Proportionslehre, Lehre vom
gesetzmässigen Aufbau der Figur mittels "richtiger"
Bemessung von Teilstrecken (L.B.Alberti (1404-1772),
Leonardo, Albrecht Dürer, "Vier Bücher von
menschlicher Proportion", 1528)
Was als Suche nach einem allgemeingültigen
Schönheitskanon begann mündet heute in die
"Proportionskunde":
Wir finden die Streckenverhältnisse durch Messen am
jeweiligen Modell heraus und studieren die menschlichen
Proportionen in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und
morphologischem Typus, nicht in Abhängigkeit von ideellen
Vorgaben.
Die Künstleranatomie, erste
Leichensektion durch einen Künstler (Antonio del
Pollaiulo, 1430?-1498)
Der Anatomieatlas: die
Kartographierung des menschlichen Körpers (Leonardo da
Vinci, Marc`Antonio della Torre)
Erste Präparierung eines menschlichen
Skeletts, Entwicklung des "Muskelmanns" ("écorché")
zu Lehr- und Anschauungszwecken
Vereinfachender Aufbau der Figur aus Kuben und
Röhren zur Steigerung der räumlichen Eindringlichkeit
(z.B. Dürer, Hans Holbein d.J.(1497-1543))
Soweit dieser kurze historische
Überblick.
Alice Barber Stephens, "Aktkurs für Frauen", um
1879
Aktzeichnen heute
Eine Standortbestimmung
Was aber kann uns Heutigen das Aktzeichnen geben, was dürfen
wir dort erwarten, und was hoffen zu erreichen?
Gerade heute, im medialen Zeitalter, bietet das Aktzeichnen dem
von einer elektronischen Datenmüllbilderflut umspülten
Mitmensch die Gelegenheit, übernommenes und
überkommenes Bildgedankengut zu überdenken und sich ein
nunmehr "eigenes Bild" vom "Ist"-Menschen zu machen.
Wir erkennen: die wirkliche Erscheinung des Menschen hinkt seiner
multimedialen Repräsentation gefährlich hinterher; der
Mensch ist, einmal entblößt, wie er aussieht: nackt,
verletzlich, einzigartig und irgendwie ziemlich real.
Es ist die nackte Wahrheit. Du bist wie du aussiehst. Nur wie wir
wirklich aussehen ist jetzt verdammt schwer zu begreifen.
Wenn es uns endlich gelingt, können die
allgegenwärtigen Begriffe vom "Menschsein" endlich wieder
mit einem Inhalt gefüllt werden; denn die menschlichen
Eigenschaften werden wieder bezeichnet, werden kenntlich
gemacht.
Wird ein Mensch, wird der Mensch gezeichnet. Doch der Mensch, er
muss zuerst erkannt, er muss "gesehen" sein.
Und dann?
-Ja dann ist alles möglich.
Ganz am Anfang
Anregungen
Die vielen Voraussetzungen und
Fähigkeiten, die wir zum Aktzeichnen mitbringen, sind:
Das unvoreingenommene Sehen, die Neugier, die Lern- und
Experimentierfreude, ein entwickeltes Proportions- und
Raumgefühl, verinnerlichende Aneignung des Gesehenen und die
Bereitschaft zum steten Selbstüberdenken.
Hier zum Schluss noch ein paar praktische Tips für absolute
Neueinsteiger:
Versuchen, den Akt von Innen zu sehen, sich
nicht nur am Kontur entlangtasten.
Von Innen nach Aussen denken, die Figur aus dem Zentrum
entwickeln, sie wachsen lassen wie einen Baum, das Wachstum geht
vom Rumpf zu den Gliedern.
Das Zeichenmaterial zu Beginn schwungvoll, doch nur mit leichtem
Druck übers Papier führen um in der Anlage beweglich zu
bleiben.
Die Figur zu Beginn: wie durch einen Schleier gesehen.
So bleibt man flexibel, und man kann, wenn man an der Proportion
oder der Haltung später noch Änderungen vornehmen muss,
z.B. wenn sich das Modell doch bewegt hat, die Umrisslinie noch
nach Aussen oder Innen versetzen.
In der Anlage des Blattes zu Beginn muss man bereits wichtige
kompositorische Entscheidungen treffen.
Dimensionierung des Aktes zum Format-wie groß? Anschneiden
oder Figur im Vollformat?
Den Raum zeichnen, den die Figur einnimmt, nicht nur die
Oberfläche des Modells.
Die Schraffuren sparsam verwenden; doch immer mit der Form
zeichnen.
Auch mit Beleuchtungseffekten so sparsam wie möglich
umgehen.
Die Figur in Gedanken auf ihre plastischen Kerne reduzieren, die
genaue Lage der Glieder im Raum bedenken.
Sich im Inneren klar werden: wie liegen die Hauptformen (Kopf,
Brustkorb, Becken) im Verhältnis zueinander
(Drehung/Neigung/Kippung).
Unterscheide Hauptform von Zwischen- und Nebenform.
Der Akt unterliegt als Körper den Gesetzen der
physikalischen Mechanik: klar werden über das
Verhältnis von Last und Stütze.
Wo liegt der Schwerpunkt der Figur?
Welche Teilform ist vom Skelett bestimmt, welche von Muskulatur
und Gewebe?
Punkte, an denen das Skelett an der Oberfläche liegt, sind
wichtige Ankerpunkte an denen ich die richtige Lage der Details
aufhängen kann.
Welche Muskeln sind in Aktion (angespannt), welche in Ruhe bzw.
passiv gestaucht?
Wo genau liegen die Gelenke, wie liegen ihre räumlichen
Achsen zueinander?
Beim Zeichnen sollte man zu Beginn Einzelheiten
zurückdrängen, um sich so das Schönste für
den Schluss aufzusparen.
Stuhlkanten, Lehnen, Unterlagen dürfen sowieso ganz
weggelassen werden.
Überhaupt: nicht Vollständigkeit, sondern die
überzeugende räumliche Erscheinung suchen.
Schwierige Verkürzungen, extreme Nahsicht meiden. Auch
objektiv völlig richtig Gezeichnetes kann da oft ziemlich
falsch aussehen (Eigene Erfahrung!).
Ausblick
Wer noch weiter über das im Kurs Gebotene hinausgehen will,
dem helfen: Proportionsstudien in Eigenregie, die
Selbstanfertigung von zweidimensionalen Verständigungshilfen
nach Bammes, zeichnerische Muskulatur- und Skelettstudien am
Präparat (für die, die´s ganz genau wissen
wollen), sehr empfehlenswert sind auch plastische Studien
(Modellierübungen in Ton) aus der Vorstellung.
Ansonsten gilt: am Ball bleiben, nicht unbedingt
viel, aber regelmäßig und aufmerksam den Akt
zeichnen.
Ich hoffe, dieser kleine Artikel hat Ihnen
ein bißchen Lust auf das Aktzeichnen gemacht. Wenn er Ihnen
gefallen hat, dann besuchen Sie doch auch unsere anderen Seiten.
Dabei viel Spaß wünscht Ihnen Ihr Michael
Daum!
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